2021

Das Jahr 2021 war für unsere Kirchengemeinde durch den Tod von Vr. Mitrofan und die Corona-Krise geprägt.

 

 

Die Lebensgeschichte unseres

 

Ehrwürdigen Pfarrers Igumen

 

Mitrofan Hauser,

 

Dekan für

 

Süddeutschland

 

 

 

(Veröffentlicht mit dem Segen von Igumen Mitrofan)

 

 

 

Von Tatiana Volohonsky, Chorleiterin , Mitglied der Gemeinde Hl. Maria von Ägypten in Tübingen seit 1994

 

 

 

 

 

„Gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen,

 

denn sie wachen über eure Seelen – und

 

dafür müssen sie Rechenschaft geben -

 

damit sie das mit Freuden tun und nicht mit

 

Seufzen; denn das wäre nicht gut für euch.“

 

 

 

Hebräer 13:17

 

 

 

 

 

 

In einer kleinen deutschen orthodoxen Gemeinde, welche

 

unter dem Schutz des Moskauer Patriarchates in der

 

Hauptstadt der evangelischen Theologie Tübingen

 

entstanden ist, hat sich ein junger Student, ein Schwabe aus

 

dem Schwarzwald, ein Theologe namens Michael Hauser,

 

niedergelassen. Er fühlte sich nicht nur von der Schönheit der

 

byzantinischen Gesänge, Ikonen oder Kirchenbaus, welche

 

damals populär unter den Deutschen war, die von dem

 

Tausendjährigen Jubiläum der Taufe Russlands begeistert

 

waren, sondern auch von der Hand Gottes angezogen. Er hat

 

dort alle Gottesdienste beim Stifter und Pfarrer dieser

 

Gemeinde, Igumen Johannes Bücheler, besucht und hat selber

 

im Chor gesungen. Er hat sich sogar dazu entschieden, sich zur2

 

Orthodoxie zu bekennen, aber er hat es nie gewagt, über das

 

Priestertum nachzudenken.

 

Michael wuchs in einer armen, evangelischen, kinderreichen

 

Familie auf, von denen es damals sehr viele gab,

 

in einem zwischen den Tannen und Bergen des

 

Schwarzwaldes verlorenen Dorf. An Gottesdiensten in der

 

Dorfkirche hat er teilgenommen und für Gott selber hat er sich

 

seit seiner Kindheit interessiert. Während sein älterer Bruder

 

Fußball vergötterte, wie es bei Jungs üblich ist, konnte Micha

 

die Bibel nicht aus der Hand lassen. Er ging oft selber allein in

 

die Kirche, wo eine wunderschöne Kreuzigung Jesu war, und

 

dachte lange über Gott nach. Die Gemeinde im Dorf war streng

 

pietistisch, und der Junge war immer mit der Frage

 

beschäftigt: Warum sollte man immer diesen strengen

 

christlichen Regeln folgen? Nur aus Furcht, in den Hades

 

geschickt zu werden? Sein lebendiges Herz hat sich dem

 

ganzen mit allen Kräften widersetzt. Es hat nach einem

 

barmherzigen, liebenden Gott gesucht und nicht nach einem

 

schrecklichen und strafenden. Und Gott hat ihm auf seinen

 

Weg einen Schulkameraden gestellt. Einer der griechisch-

 

orthodox war. Durch ihn hat er einen griechischen Priester

 

kennengelernt. Das war wie eine Erleuchtung! Nach einigen

 

Unterhaltungen mit dem Priester hat Michael erlebt, dass man

 

alle Gebote nicht aus der Furcht bestraft zu werden erfüllen

 

soll, sondern aus der Liebe zur Dem, Der sie gegeben hat. Und

 

dass Gott Liebe, Liebe und noch mal Liebe ist. Und dass die

 

ganze Welt nur mit Liebe existiert. Das war so im Einklang mit

 

seiner eigenen Seele! Endlich hatte er die richtige Antwort auf

 

seine Frage.

 

Als er 18 Jahre alt war, erkrankte er an Diabetes; da

 

begann sein Leidensweg mit dieser Krankheit. Nach der

 

Schule machte er eine Ausbildung als Krankenpfleger. Aber

 

die Himmlischen Fragen gingen ihm trotzdem nicht aus dem

 

Kopf. Dann kam die Entscheidung, Theologie in Tübingen zu

 

studieren. Während des Studiums in dieser schönen

 

mittelalterlichen Stadt lernt er die kleine orthodoxe Gemeinde

 

im Namen der Heiligen Maria von Ägypten mit einem großen

 

byzantinischen Chor kennen. Die Teilnahme an diesem Chor,

 

die wunderschönen orthodoxen Gebete, selbst die Liebe

 

zwischen den Gemeindemitgliedern fesseln das Herz des

 

jungen schwäbischen Studenten immer mehr. Er suchte

 

Kontakt zu einem Lehrstuhl an der Uni Erlangen-Nürnberg,

 

um die orthodoxe Theologie bei einem deutschen Professor,

 

einem Experten in Byzantinistik, der viel mit Griechen und

 

Russen gearbeitet hat, zu studieren. Danach entschied er sich

 

für die Orthodoxie. Aber er verstand auch, was ihn dieser

 

Schritt kosten würde: Verachtung und Unverständnis von der

 

Seite seiner heimischen Dorfgemeinde, denn die Damen, die

 

ihn seit seiner Kindheit kannten, erwiderten seine Grüße nicht

 

mehr und wechselten rasch die Straßenseite. Aber er ließ sich

 

nicht von seiner Entscheidung abbringen. Er veranstaltete

 

öffentliche Vorlesungen über Orthodoxie in seinem Dorf und

 

erklärte, dass diese "Unbekannte östliche Lehre“ auch Jesus

 

Auferstehung verehrt und ein Leben nach dem Tod predigt,

 

und die gleichen zehn Gebote, nur nicht aus der Furcht,

 

sondern aus der Liebe heraus, befolgt. Manche zeigten

 

Verständnis für seine Entscheidung, aber die anderen eher

 

nicht. Und es geschah so, dass er die meiste Zeit seines

 

bisherigen Lebens unter den heimischen Leuten verbracht hat.

 

Er lebte im Elternhaus, arbeitete in einer Arztpraxis, pflegte

 

seine kranke Mutter, half seiner Schwester, die als

 

alleinerziehende Mutter lebte, ihr Kleinkind zu versorgen.

 

Niemand wusste damals, dass seine Schwester, jahrelang seine

 

eigene Pflegerin sein wird, dass er selber ganz krank im

 

Rollstuhl sein wird, dass sie mit ihm gemeinsam all ihre

 

Freude und Not teilen, dass bei ihm, dem allgütigsten "Onkel

 

Micha" seine Neffen und Nichten großwerden.4

 

Aber die Stunde des Willens Gottes kommt und der

 

junge Mann mit dem großen Herz und dem schönen Tenor

 

wird von Metropolit Irinei von Wien und Österreich (+1999)

 

bemerkt, während Michael ihn auf seinem Besuch in

 

Süddeutschland begleitet. Ganz plötzlich hat der Metropolit

 

ihn gefragt, ob er Diakon sein will. Jetzt ist Michael wirklich

 

verwirrt. Solche Gedanken hat er sich noch nie zu denken

 

gewagt. Aber im Himmel ist schon alles entschieden worden.

 

Metropolit führt am 8.11.1992 die Diakonweihe in einer

 

kleinen Kirche zu Ehren der Entschlafung unserer

 

Gottesmutter, welche Zuhause bei einem deutschen Priester,

 

Peter Plank (+2009) war, durch. Gleich am nächsten Tag

 

erlebte Vater Michael in der Hl. Nektarius Kirche in

 

Bischofsheim seine Priesterweihe. Die ganze Familie ist

 

natürlich auch dabei. Selbstverständlich steht gleich die Frage

 

über seinen Familienstand im Raum. Ohne besondere

 

Schwankungen wählt Vater Michael das Mönchtum. Seine

 

Eltern sind etwas traurig darüber, hindern aber ihren Sohn

 

nicht daran, selbst über seinen eigenen Lebensweg zu

 

entscheiden. Als Metropolit Irinei erfährt, dass Michael Mönch

 

wurde, sagt er:

 

"Dieser Weg wird für ihn einer der schwierigsten sein".

 

Die Mönchsweihe wurde von Bischof Longin in der Kirche zum Schutz der Gottesmutter in Düsseldorf am 8.11.1993 durchgeführt. Da keine anderen

 

Mönche in der Nähe waren, ist Bischof Feofan sein

 

Mönchspate geworden. Sein neuer Name, Mitrofan, klingt

 

zunächst komisch für einen Deutschen aber mit der Zeit freut

 

er sich über ihn, insbesondere als er über den weitberühmten

 

russischen heiligen Bischof von Woronesch mehr erfährt. Zum

 

Beispiel, dass er mit dem mächtigen russischen Zaren Peter,

 

dem größten Reformator Russlands, sympathisierte, aber vor

 

seinem Besuch bei ihm zur Bedingung machte, dass alle

 

antiken Götterstatuen aus seinem neuen Palast in Woronesch

 

weggebracht werden, sonst mache er keine Besuche beim

 

Zaren – obwohl er wusste, dass eine solche Einstellung ihm sein

 

Leben kosten könnte. Übrigens, sein weltlicher Name ist ja auch

 

Michael gewesen.

 

Wie viele Tränen wird seine Herde in Zukunft noch vor den

 

Reliquien dieses russischen Heiligen vergießen, dass ihr

 

Seelenhirt wieder gesund wird! Daran denkt er noch nicht.

 

Er lässt die ganzen Ausweispapiere auf den neuen Namen umändern und scherzt mit seinem Bankberater auf Schwäbisch:

 

"Ha jo, habet se Recht - Mitrofan bin i".

 

Lebensmut und Humor sind immer seine unveränderliche

 

Grundhaltung, wobei er mit anderen stets vorsichtig und

 

taktvoll umzugehen weiß. Unter allen

 

Umständen, bei Unfällen und Leiden verliert nicht er seine

 

innere Ausstrahlung und Optimismus. Er erscheint als

 

außergewöhnliches Vorbild von Geduld und Liebe. Sogar bei

 

einem Unfall auf der Autobahn, als wir auf dem Weg nach Ulm

 

zu einer Taufe waren und bei hoher Geschwindigkeit von der

 

Fahrbahn abgekommen sind, als unser zerbeultes Auto zum

 

Stehen kam, hat er gleich ausgerufen:

 

"Ob da nicht die ganzen himmlischen Heere gleich dabei waren?!"

 

Keine einzige Verletzung, kein blauer Fleck. Nur ein langweiliger Heimweg

 

im langsam dahinschleichenden Abschleppwagen...

 

Priestermönch Mitrofan wird als zweiter Priester zu

 

seinem Lehrer und Pfarrer Igumen Johannes Bücheler

 

(+1992) 1 verordnet. Er muss ihm dabei helfen, eine junge

 

deutsche Gemeinde im Namen des Propheten Elias zu

 

unterstützen, welche sich in Wernau, im Jahre 1986, unter

 

den orthodoxen Deutschen bildet, wobei alle Gottesdienste in

 

einer Hauskapelle mit selbstgemachter schöner Ikonostase 2

 

privat stattfanden. Es ist gelungen, in Stuttgart mit einer

 

evangelischen Kirchengemeinde abzustimmen, dass orthodoxe

 

Gottesdienste in der Seitenkapelle der Lukaskirche durchgeführt werden,

 

aber erst nach dem evangelischen Gottesdienst. Vor jedem Gottesdienst wird die ganze Einrichtung - Ikonen, Pulte, Tücher - aufgestellt, die Kerzen

 

mitgebracht, und am Schluss - alles wieder aufgeräumt. Dieses

 

unermüdliche Kränzchen von beseelten Deutschen bemüht

 

sich begeistert um ein paar russische Großmütterchen, macht

 

kleine Teerunden mit "Borschtsch" und Vaterunser auf

 

Kirchenslavisch. Manche kommen sogar aus Nürnberg! Nur

 

um die Freude über das gemeinsame Gebet, über die

 

Anwesenheit mit Christus zu erhalten. Da sind seine Namen:

 

Familie P. - Christopher(+1997), mit Frau und zwei Söhnen,

 

Hilda P., Familie L. - Georg (später Priester geworden),

 

Helena(+2002) mit zwei Söhnen, Sergius R., Dr. Paul Sohnle

 

(auch künftiger Priester, +2007) 3 , Nonne Serafima Lehmacher

 

(+1998) 4 , Katarina S. (künftige Nonne), Mark S., Kirstin W.

 

(künftige Nonne), Rudolf und Uta H. Es gab einen Leser, einen

 

Chorleiter, und sogar einen Ikonenmaler!

 

 

 

Das ist, anscheinend, die größte deutsche orthodoxe Gemeinde in ganz

 

Deutschland seit der Abspaltung der katolischen Kirche im XI

 

Jahrhundert! Und alle Unterhaltungen sind nur auf Deutsch.

 

Aber aus Liebe zur Russischen Kirche üben sie die kyrillische

 

Schrift und im Rahmen des Möglichen - die russische Sprache

 

und Kultur. Vater Mitrofan lernt die ganze Liturgie auf

 

Kirchenslawisch, damit "die russischen Mitglieder sich wie zu

 

Hause fühlen." Und sie machen es tatsächlich so, aber nicht

 

nur wegen der Sprache, sondern, meistens, wegen Christus

 

Anwesenheit in dieser Gemeinde, wegen der gemeinsamen

 

Liebe zueinander und wegen der Schlichtheit des Umgangs.

 

Mittlerweile fährt der Herr seine Ernte ein, und nach

 

einigen Wochen nach der Priesterweihe Vater Mitrofans stirbt

 

Vater Johannes wegen eines bösartigen Tumors im Gehirn.

 

Behelfsmäßig wird Vater Peter Plank (+2009) aus Würzburg

 

als Pfarrer verordnet. Er ist auch studierter Theologe,

 

übersetze alle Minäen (tägliche Gottesdienste für 12 Monate)

 

aus dem Griechischen ins Deutsche und Autor von anderen

 

orthodoxen Gottesdienstbüchern auf Deutsch. Aber er hat

 

gesundheitliche Probleme (Multiple Sklerose) und ihm fällt es

 

schwer, zwei Gemeinden, die so weit voneinander entfernt

 

sind, zu betreuen. Dann wird Vater Mitrofan als Pfarrer der

 

Tübinger und Stuttgarter Gemeinden gewählt.

 

Freundlicherweise vermieten die Eltern von Vater Johannes

 

seine kleine Wohnung in Stuttgart an seinen Nachfolger und

 

das sehr günstig. Er zieht nach Stuttgart, um seinen

 

Hauptberuf besser zu erfüllen, fährt aber zwei Mal in der

 

Woche in den Schwarzwald und arbeitet dort als

 

Krankenpfleger für etwa 600 DM im Monat, um seinen

 

anspruchslosen Lebensunterhalt zu verdienen. In dieser

 

Bescheidenheit und Armut führt er eigentlich sein ganzes

 

Leben. Noch vor der Priesterweihe war ihm klar, dass er für

 

seinen Hauptberuf als Priester der Russischen Orthodoxen

 

Kirche in Deutschland keinen einzigen Pfenning verdienen

 

wird. Die Gemeinden wachsen, weil zu dieser Zeit alle

 

osteuropäischen Grenzen geöffnet werden. Es kommen

 

Russen, Ukrainer, Georgier, Serben und Griechen. Der kurz

 

zuvor an die deutsche Diözese verordnete Bischof Feofan von

 

Berlin und ganz Deutschland, der aus Moskau kommt, besucht

 

regelmäßig beide Gemeinden am Altarfest. Er weiht Priester,

 

Leser, Hypodiakone, Mönche. In den Gemeinden werden

 

Kinder geboren, Sonntagsschulen geöffnet, Sommerlager und

 

Freizeiten durchgeführt, Pilgerreisen und Seminare

 

veranstaltet. Die alten Leute werden auch nicht vergessen: als

 

ein einsamer Gemeindemitglied, der Hypodiakon, in einem8

 

Altersheim verstorben ist und gesetzlich eine Sozialbestattung

 

(Kremierung) bekommen sollte, was, eigentlich, für einen

 

Orthodoxen unerwünscht ist, bemüht sich Vater Mitrofan für

 

eine normale Beerdigung für ihn. Als Seelsorger besucht er

 

Mitglieder zuhause und in Krankenhäusern. Stundenlang kann

 

er neben einer weinenden Mutter sitzen, um sie zu trösten,

 

weil ihr kleiner Sohn an Krebs stirbt. Er leidet mit den

 

Leidenden und Freut sich mit den Freuenden. Dank seiner

 

Kenntnis des deutschen Gesellschaftssystems und seiner

 

Sprachkenntnisse, insbesondere des Schwäbischen, findet er

 

Wege sogar in die Gefängnisse, kriegt Zulassungspapiere und

 

tröstet die Gefangenen durch Gespräch, Beichte, Kommunion

 

und Gebet. Der Bischof bittet ihn noch eine neue Gemeinde

 

aufzubauen, und zwar in Ulm, in einer kleinen

 

mittelalterlichen Seitenkapelle am berühmten Ulmer Münster

 

mit dem höchsten Kirchturm der Welt. Diese Kapelle ist zu

 

Ehren der hl. Märtyrer Valentin und Pasikratus geweiht und

 

wurde davor von Serben genutzt. Mit dem eigenen Auto

 

schleppt er dort die ganze Ausrüstung hin, Elektroheizungen,

 

Ikonen, näht mit Hilfe der Tübinger Mitglieder Gewände und

 

Tücher, führt regelmäßige Gottesdienste ein. Ein Urlaub? Eine

 

Kur? Auf diese allgemeinen Sachen verzichtet er:

 

„Wovon einen Urlaub? Vom Mönchtum?“

 

Wie eine stillende Mutter nicht von ihrem Kind weggehen kann,

 

kann Vater Mitrofan seine Gemeinden nicht verlassen. Er

 

sammelt treue Leute um sich herum und ihre Menge wird

 

immer größer. Sein Auto ist alt, es bleibt hängen, der Motor läuft nicht

 

an, wir schieben es ab und zu mühsam an, mit allen unseren

 

Ameisenkräften und seiner korpulenten Figur. Zur dieser Zeit ist er

 

schon ein sehr kranker Mensch. Sein Stoffwechsel funktioniert nur

 

zu 25%. Er hat ständige Rückenschmerzen. Sein Koffer mit

 

Medikamenten und Spritzen ist größer als der Koffer mit den

 

priesterlichen Utensilien. Trotz Krankheiten und Erschöpfung

 

erfüllt er möglichst alle seine Aufgaben. Er fliegt nach Berlin9

 

zur Diözesanversammlung, und wir erfahren nebenbei, dass es

 

der erste Flug seines Lebens ist. Er lässt keine Gemeinde ohne

 

Gottesdienste und Unterstützung. Sein Gottesdienstplan

 

umfasst drei Gemeinden gleichzeitig: er zelebriert die Liturgie

 

in Tübingen, dann fährt er gleich nach Ulm mit den Heiligen

 

Gaben, um Typika zu feiern. Und umgekehrt. Dabei wird auch

 

Stuttgart nicht vergessen.

 

Ein Mädchen, dessen Vater Hypodiakon ist und sie immer mitgenommen

 

hat, hat gedacht, dass eine orthodoxe Kirche nur eine solche ist, wo Vater

 

Mitrofan zelebriert, weil nur er da war, überall wohin sie

 

reisten. Als ein Altarfest gefeiert wurde, wurden Mitglieder

 

von anderen Gemeinden dort hingefahren, dabei verdreifacht

 

sich der Chor, und die Tische bereichern sich mit allen

 

mitgebrachten Speisen. Gewöhnlich kommt Bischof Feofan

 

auch an solchen Tagen aus Berlin.

 

Am Ende des XX. Jahrhunderts werden in Deutschland

 

immer mehr evangelische und katholische Kirchen verlassen,

 

und die ganzen Gemeinden verschwinden klanglos, weil die

 

Menschen einfach andere Interessen haben.

 

Im Jahre 1998 findet Vater Mitrofan in Stuttgart ein solches

 

Gemeindehaus und mietet es ganz günstig für seine Gemeinde.

 

Er lässt einen deutschen Schreiner eine große Ikonostase mit

 

Ambon bauen.

 

Alle Ikonen kommen dazu, mit der Hilfe Gottes, "von alleine".

 

Daraus wird eine recht große Kirche. Zu dieser Zeit waren die

 

Gemeinden auch groß genug um sie zu unterhalten. Bischof

 

Feofan kam und brachte aus der Kievo-Petscherskaja Lavra

 

heilige Reliquien und weihte einen richtigen Altar in der

 

neuen Kirche ein. Im Haus gibt es mehrere Räume und eine

 

Küche, es ist sehr gemütlich, hell und warm. Alle Mitglieder

 

freuen sich: endlich mal was eigenes! Ein paar Jahre davor gab

 

es keine Möglichkeit, eine Prozession um die Kirche zu

 

machen, wie es üblich ist. Es sah alles so komisch aus: Die

 

Prozession war immer auf einem Platz vor der Kirche und

 

zwar als ein kleiner Kranz von Leuten, die nacheinander

 

gingen und sangen.

 

"Wir gehen um eine unsichtbare Kirche!" - sagte Vater Mitrofan.

 

Und die ganze Nachbarschaft schaute aus den Fenstern.

 

Im neuen Haus befindet sich eine hübsche Zweizimmerwohnung,

 

und Vater Mitrofan zieht hierher. Die Gemeinde zählt jetzt über 200 Mitglieder.

 

Die Leute kommen zu ihm um Rat, Tröst und Hilfe zu bekommen. Er verweigert

 

keinem sein offenes Ohr.

 

Andererseits muss er eine anstrengende Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern

 

verkraften, bei der es um die Sprache der Liturgie geht. Jeder

 

fordert seine, und es werden lauthals Streitereien über die

 

Sprache des Gottesdienstes ausgetragen. Manche sagen, dass

 

der Pfarrer nicht genug russisch-orthodox ist, die anderen

 

jammern, dass er den Russen zu sehr entgegenkommt, und er

 

versucht diese Probleme nur mit Liebe zu lösen.

 

Wie viele Vorwürfe sind ihm gemacht worden – und

 

welche nur! Er hat anonyme Anrufe bekommen, er sei ein

 

KGB Agent. Es gab Leute, die Gerüchte verbreiteten, dass er

 

Geldwäsche betreibe. Er hat darüber gescherzt beim

 

Gespräch mit dem Nächsten: "Haben sie eine Waschmaschine?

 

Na, dann waschen wir gleich mein Schwarzgeld damit". Im

 

Jahre 2005 kam nach Stuttgart ein Mönch aus der Ukraine. Er

 

predigte, dass bald der Antichrist käme, und man müsse sich

 

möglichst schnell vor ihm in den Wäldern verstecken. Manche

 

haben ihm geglaubt, ihre Koffer gepackt und sind mit Schwung

 

in die Ukraine abgehauen. Das war ein schweres Erlebnis für

 

Vater Mitrofan.

 

 

...Es sah so aus, als ob er gekreuzigt wurde, und wir

 

stehen weinend neben seinen Füßen und versuchen sein

 

Leiden zu mildern. Aber es will trotzdem nicht gelingen. Die

 

Leiden mochten sich nur vermehren. Zusätzlich kommt dazu

 

ein diabetisches offenes Bein. Und nach dem nächsten Besuch

 

im Krankenhaus infiziert sich dieses. Das wird bald der Grund

 

für seine Behinderung. Die Schmerzen nehmen wegen der

 

Entzündung auch zu. Ohne Schmerzmittel geht es jetzt

 

überhaupt nicht. Die Wunde wird schon 7-10 Zentimeter breit,

 

ohne Krücken schafft er die Treppe zur Kirche und zu seiner

 

Wohnung nicht mehr. Deswegen kehrt er nach Hause, zu

 

seiner Schwester, zurück. Von dort wird er von treuen

 

Gemeindemitgliedern zu den Gottesdiensten abgeholt. Er hört

 

während der Gottesdienste die Beichte. Er sitzt die ganze Zeit,

 

obwohl er kaum sitzen kann, strahlend aber - mit Liebe und

 

Trost. Die Leute sprechen mit ihm kniend, weil er nicht

 

aufstehen kann. In den Altar kann er jetzt auch nicht hinein,

 

wegen der Treppe.

 

Unvergesslich ist seine Respekt einflößende Figur neben den Nordtüren des

 

Altars, auf seinem Posten sitzend. Irgendwann löst ein Rollstuhl den

 

normalen Stuhl ab. Damit kommt Vater Mitrofan immer seltener zu den

 

Gottesdiensten. Eine Folge seines häufigen Fehlens ist der nun

 

einsetzende Mitgliederschwund. Es Bleiben nur die treuesten.

 

Treue zu Christus und dem Evangelium. Zu dieser Zeit ist er

 

bereits lange Dekan für Süddeutschland. Er bekommt alle

 

irdischen Auszeichnungen verliehen, welche ein Priester

 

verdienen kann. Seine letzte Auszeichnung ist ein mit

 

Edelsteinen geschmücktes goldenes Kreuz. Es wurde ihm in

 

Ulm im Jahre 2010 von Erzbischof Feofan verliehen. In der

 

Kirche zu Ehren der Ikone unserer Gottesmutter "Zeichen"

 

wird er mit dem Rollstuhl getragen und vor den Altar gestellt.

 

In den Altarraum konnte er, wegen der Treppe, nicht rein.

 

Wie gewohnt, hörte er die Beichte neben der Nordtüre.

 

Während der Priesterkommunion ist der Erzbischof selbst zu

 

ihm niedergestiegen und brachte die heiligen Gaben dar.

 

Unterdessen findet die Stuttgarter Gemeinde, die

 

merkbar kleiner geworden ist, einen günstigeren Raum für die

 

Gottesdienste, und zwar eine nicht aktive Kirche in Feuerbach.

 

Diese hat keine Stufen, und Vater Mitrofan kann ab und zu

 

kommen, wenn ihn jemand aus dem Schwarzwald holt.

 

 

...Zuhause erfüllt Vater Mitrofan jetzt alle seine

 

Pflichten als Dekan für Süddeutschland und als Pfarrer - ohne

 

sein Krankenbett zu verlassen, Monatelang ohne

 

Spaziergänge, mit Hilfe des Telefons, Internets, der Post und

 

unendlicher Gebete. Immer seltener kommen

 

Gemeindemitglieder ihn zu besuchen; manche kennen ihn gar

 

nicht mehr, und haben kaum eine Vorstellung, was für eine

 

ehrwürdige Person er ist. Nichtsdestotrotz bewahren die

 

alten Mitglieder ganz sorgfältig alle seine Gebote in den

 

Gemeinden, und machen alles nur mit seinem Segen. Eines

 

von diesen Geboten - "nie die hiesige Landessprache aus dem

 

Gottesdienst ganz weglassen". Dieses Gebot kommt aus der

 

großen Erfahrung des Metropoliten Antonius Blum von

 

Surosch (+2003), der die ersten Samen der deutschen

 

Orthodoxie gesät hat, und zwar durch die Gründerin der

 

Tübinger orthodoxen Gemeinde und ihre weiteren Zweige –

 

die Stuttgarter und Ulmer Gemeinden. Blum hat sie in die

 

orthodoxe Kirche in der Londoner Kathedrale am 11.05.1982

 

eingeführt, und hat ihr den Namen einer in England beliebten

 

orthodoxen Heiligen Hilda, die Äbtissin von einem Kloster in

 

Witby war, gegeben.

 

Zum Schluss möchte ich gerne meine Dankbarkeit zu Gott

 

aussprechen, dass Er mich im Schoße dieser deutschen

 

orthodoxen Gemeinde geistig wachsen und reifen ließ. Und

 

auch dafür, dass ich in meinen besten Lebensjahren ihre

 

Tätigkeit unterstützen konnte. Hoffentlich lässt unser Herr

 

diese eigenartige, zarte, delikate, höfliche deutsche

 

Orthodoxie, welche auch treu bis zur Selbstverleugnung ist,

 

weiter pflegen und stärken. Und dass diese kleine Quelle mit

 

der Zeit einen großen Fluss der Deutschen Orthodoxen Kirche

 

geben wird.

 

 

 

 

 

1 - Igumen Johannes Bücheler hat die Gemeinde in Tübingen gegründet. Er wurde geweiht vom Bischof Longin Mitte der 80-er und am Anfang hat er einige Griechen in Tübingen geistig betreut in der katholischen Kirche in der Frondsbergstr. Im Jahre 1985 ist die Gemeinde mit einigen Deutschen in den Andachtsraum des Schlatter Hauses umgezogen. Bücheler wohnte in Stuttgart und ist mit nur 43 Jahren an einem Tumor gestorben. Beerdigt ist er im Heslacher Friedhof in Stuttgart unter seinem weltlichen Namen Wolfgang Bücheler.

 

 

2 – Diese Ikonostase steht jetzt in einer privaten orthodoxen Hauskapelle.

 

 

3 – Priester Dr. Paul Sohnle wurde vom Bischof Feofan Geweiht in Stuttgart im Jahre 2001. Verstorben ist er an Leukämie im Jahre 2007, im Alter von 67 Jahren. Beerdigt wurde er im Stuttgarter Stadtfriedhof.

 

 

4 – Nonne Serafima Lehmacher stammte aus Ravensburg als katholische Nonne und trat über zur Orthodoxie in Konstanz in der Kirche des Hl. Prokopius von Ustjüg (ebenfalls ein Deutscher). Von Anfang der 90-er war sie Mitglied der Stuttgarter Gemeinde und wohnte in Stuttgart. Zuhause hat sie eine Kapelle mit der Ikonostase aus Wernau eingerichtet. Sie ist verstorben im Jahre 1998 und begraben in Berlin im russischen Friedhof in Tegel.

 

 

 

..........................

 

 

 

 

 

Archimandrit Mitrofan Hauser

 

 

 

 

 

 

 

Dekan der Stuttgarter - Tübinger Kirchengemeinde

 

 

 

 

 

 

 

30.09.1960 - 30.04.2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit den Heiligen lass ruhen, Christus, die Seele deines neuentschlafenen Knechtes,

 

des Archimandriten Mitrofan, wo kein Schmerz, keine Trauer oder Seufzen ist, sondern unendliches Leben.

 

 

 

 

 

Entschlafung des Archimandriten Mitrofan Hauser

 

 

 

 

 

Am 30. April 2021 (Karfreitag) entschlief der Knecht Gottes Archimandrit Mitrofan, um 10.00 Uhr im Herrn, nach einem schweren Nierenleiden.

 

 

„Aus der Liebe Gottes, die unser Leben verändert,

wächst in uns die Liebe zum Mitmenschen, der uns braucht.

 

Diese Reihenfolge ist wichtig,

 

denn ich kann nur das weitergeben,

was ich selbst bekommen habe“

 

 

 

-Worte der letzten Predigt von Vater Mitrofan-

 

 


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